• Zacryon@feddit.org
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    2 days ago

    Trauriger geht’s eigentlich kaum. Weil Grupps Worte die völlige Durchseuchung eines intelligenten Ichs durch ein ökonomisches Weltbild offenlegen, wie tödlich die Ideologie vom “immer nützlich sein müssen” in einen Menschen eingraviert ist. Wie tief der Glaube sitzt, dass die eigene Existenz nur dann legitim ist, wenn sie wirtschaftlich ist und Mehrwert erzeugt (der in Grupps Fall ja sogar in seine Tasche fließt). Und so kehrt sich der Satz “Wer ein großes Problem hat, ist ein Versager” gegen seinen Urheber. Grupp ist seiner eigenen Ideologie zum Opfer gefallen.

    Und es ist gut, dass die Welt das sieht. Denn so lässt sich verstehen, dass das “Versagen” nicht im Einzelnen liegt – sondern die Kategorie eines Systems ist, das nur Menschenmaterial, keine Menschen kennt. Das wirklich Tragische an Wolfgang Grupps Selbstmordversuch ist, dass er nicht erkennen konnte, dass auch Scheitern dazugehört. Dass es okay ist, nicht mehr gebraucht zu werden. Dass man auch einfach nur da sein darf. Ohne Funktion, ohne Mehrwert, ohne Hintergedanken. Die kapitalistische Erzählung, der Grupp jahrzehntelang sein Gesicht gab, kennt diese Gnade aber nicht. Sie kennt nur “gebraucht oder nicht gebraucht werden”, “Leistung oder Last”. Und da ist es zwangsläufig, dass ein alternder Unternehmer sich irgendwann fragt, ob sein Leben noch Sinn hat.

    Das muss man allen Menschen mal einhämmern. Wie “wertvoll” oder wichtig das Leben eines Memschen ist hängt nicht davon ab, welchen kommerziellen/kapitalistischen Wert man einfährt. Das ist ein inhärent kaputtes und für Menschen ungeeignetes System. Die vermeintlich vorliegende Meritokratie ist eine Illusion.

    Lasst euch davon nicht kaputt machen!

    • JoKi@feddit.org
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      2 days ago

      Wer weiß wie gut er auch seinen Kindern diese Sichtweise eingehämmert hat und für wie wichtig sie ihn jetzt erachten?

  • jagermo@feddit.org
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    2 days ago

    Kein Mitleid. 2024 hat er noch groß über Leistung und gegen die vier Tage Woche gedonnert.

    Und 2022 fand er Duzen und freie Zeiteinteilung aka Führen nach Zielen statt Überwachung so richtig dumm.

    typischer Fall von dagegen bis es ihn selber trifft.

  • Obin@feddit.org
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    2 days ago

    Das ist es eben. Wer denkt dass Reiche glücklicher sind, der versteht gar nichts. Schon zu deren eigenem Wohl sollte man ihnen ihren Wohlstand wegnehmen. Aber durch die Macht die sie durch ihren Wohlstand haben schaden sie anderen und projizieren ihre eigene Unzufriedenheit und Elend auf überproportional viele andere Menschen.

    Es gibt einen Level an Wohlstand, auf dem die Bedürfnisse gedeckt sind und ein begrenztes Maß an individuellem Luxus darüber hinaus möglich ist, mit dem die Menschen am glücklichsten sind. Und den könnten wir alle haben, wenn wir unsere Gesellschaft mal überdenken würden.

    Stattdessen werden wir mit fortschreitendem Kollaps des Kapitalismus über die nächsten Jahre immer härter in diese Ecke der Leistungsgesellschaft gepresst werden. Immer mehr gescheiterte Existenzen aufgrund dieses Drucks müssen von der Politik und Wirtschaft erklärt werden, und diese Erklärung werden persönliche Fehler, und damit die eigene Schuld sein. Die Schrauben werden angezogen werden, sowohl was den Leistungsdruck als auch die Verklärung desselben angeht.

  • aaaaaaaaargh@feddit.org
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    2 days ago

    Boomer beutet über Jahrzehnte andere Boomer aus und lässt sich feiern, bittet dann nach Kollaps um Empathie. Wäre Comedy Gold, wenn nicht ein Suizidversuch im Spiel wäre.

  • trollercoaster@sh.itjust.works
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    2 days ago

    Das ist ja tragisch. Unsere Ausbeuter sind nur missverstandene Opfer des Systems! Hoffentlich bekommen die gute Therapie, dass sie bald wieder ohne schlechtes Gewissen andere Leute ausbeuten können.

    • plyth@feddit.org
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      2 days ago

      Unironisch liegt in der Sichtweise eine Chance, denn damit muss eine Veränderung des Systems nicht durch Klassenkampf entstehen. Es erfordert dann allerdings völlig neue Strategien.

  • A_norny_mousse@feddit.org
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    2 days ago

    Maultaschenäquator

    Ah. ich bin weit nördlich davon aufgewachsen und habe noch nie von diesem Wicht gehört. Ich habe aber Bande dorthin, und kann den Ton des Artikels gut nachvollziehen.

    Vor allem das hier:

    Psychische Belastung? Keine Kategorie.

    Und der Brief… meine ca. gleichaltrigen Eltern hätten das wortwörtlich so schreiben können: emotionales links liegen lassen, Leistung betonen, und “Stolz” auf den Nachwuchs. Sie haben das Wort Altersdepressionen auch schon öfter benutzt. Bislang hab ich da nicht groß drüber nachgedacht, aber es hört sich an wie eine Quasi-Diagnose die Privatkassenärzte ihren verbohrtesten Patienten in den Mund legen damit sie sich nicht mit der Realität, die sie endlich eingeholt hat, beschäftigen müssen. Wikipedia scheint das auch so zu sehen.

    Es ist gut, dass diese Fassade bröckelt.

    • saimen@feddit.org
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      14 hours ago

      Wenn man im Alter feststellt, dass man sein ganzes Leben nur geschuftet hat anstatt auch mal zu genießen und dass man nichts davon hat der Reichste auf dem Friedhof zu sein.

  • Saleh@feddit.org
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    2 days ago

    Um mal ein Positivbeispiel zu bringen. Ich kann jedem das Doku-Interview "Master of the Universe" mit dem ehemaligen Banker Rainer Voss empfehlen. Das Interview setzt sich mit den Finanzkrise ab 2007 und der Eurokrise auseinander. Es setzt sich aber auch wesentlich damit auseinander, was so ein Leben mit einem macht, und dem Prozess sich davon loszulösen. Dazu gehörte im Fall des interviewten Rainer Voss, sich therapeutische Hilfe zu suchen.